Gegenwärtig verbreitete Klaviermodelle


Der Begriff "Klavier" ist eigentlich ein Oberbegriff für verschiedene Arten von Tasteninstrumenten. Im wesentlichen existieren heute zwei hauptsächlich verbreitete Klavier Modelle: der Flügel und das Pianino. Beide haben einige wesentliche Merkmale gemeinsam, unterscheiden sich jedoch in wichtigen Punkten stark voneinander, wodurch ein jeweils ganz unterschiedliches Klangerlebnis erzeugt wird.


Konzertflügel (Public Domain, Autor unbekannt, Quelle: Wikimedia Foundation

Der Flügel

Den Flügel erkennt man auf den ersten Blick zunächst daran, daß er frei im Raum steht, und daß seine geschwungene Form an den Flügel eines Flugtieres erinnert (daher die Benennung des Instruments). Die klanggebenden Teile eines Flügels liegen parallel zum Boden, dadurch nimmt er relativ viel Raum ein. Wird er bespielt, so entwickelt der Flügel seinen Klang entlang einer vertikalen Achse und gibt seinen Schall zunächst nach oben und unten ab. Der nach unten abgestrahlte Schall wird vom Fußboden reflektiert und im Raum verteilt, der nach oben abgestrahlte Anteil hingegen wird entweder vom geschlossenen Deckel gedämpft oder vom geöffneten Deckel gebündelt in die gewünschte Richtung geleitet. Sowohl aufgrund seiner Größe, als auch aufgrund seines Platzbedarfes eignet sich ein Konzertflügel voller Größe prinzipiell eher für große Räume, insbesondere für Konzertsäle und andere öffentliche Aufführungsstätten als sein kleinerer Verwandter, das Pianino. Es existieren jedoch auch kleinere Modelle des Flügels, manchmal als "Dreiviertel-", "Halb-" oder "Viertelflügel" bezeichnet, die auch für den Hausgebrauch geeignet sind.

Durch die horizontale Ausrichtung von Raste, Resonanzboden und Besaitung ergeben sich mehrere nicht zu unterschätzende Vorzüge in Bezug auf die Klangqualität und die Bespielbarkeit des Flügels. Zunächst ist beim Flügel das Gewicht des Hammers direkt an der Taste spürbar, was dem Pianisten eine sehr differenzierte Klanggestaltung ermöglicht. Außerdem unterstützt die Schwerkraft die beim Flügel senkrecht von unten an die Saiten schlagenden Hämmer bei ihrer Rückkehr in den Ruhezustand, wodurch es möglich ist, dieselbe Taste öfter und rascher hintereinander anzuschlagen, als etwa beim Pianino. Diese Eigenschaft des Flügels nennt man Repetierfähigkeit. Und schließlich ergibt sich ein dritter Vorteil aus der besonderen Mechanik eines Flügels: Das Drücken des linken Pedals verschiebt den gesamten Spielapparat und führt zu einer drastischen Änderung der Klangfarbe, nicht bloß zu einer Dämpfung der Lautstärke.

Insgesamt bietet der Flügel dem Pianisten weit bessere Ausdrucksmöglichkeiten als andere Klaviermodelle, deshalb hat er sich in der Konzertpraxis weitestgehend sowohl gegen seine Vorgänger als auch gegen seine Verwandten in der Familie der Klaviere durchgesetzt. Während er einige Zeit lang insbesondere seine historischen Vorgänger vollständig zu verdrängen schien, ist jedoch in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Rückbesinnung auf historische Klaviere festzustellen, insbesondere vor dem Hintergrund des Wunsches, Werke historischer Komponisten mit jenen Ausdrucksmitteln zur Aufführung zu bringen, welche auch dem Künstler zur Zeit ihrer Entstehung zur Verfügung standen.

Pianino (Creative Commons, Autor unbekannt, Quelle: Wikimedia Foundation)

Das Pianino

Im Gegensatz zum Flügel stehen beim Pianino die technischen Teile (Raste, Besaitung, Resonanzboden, Mechanik) senkrecht, woraus sich vor allem ein großer Vorteil hinsichtlich des Platzbedarfes ergibt: man kann ein Pianino platzsparend an der Wand aufstellen, es paßt in so gut wie jeden noch so kleinen Raum. Hinsichtlich der Klangentwicklung ergibt sich aus dieser Anordnung jedoch ein gravierender Unterschied: Der Schall wird beim Pianino nicht wie beim Flügel vertikal, sondern zunächst horizontal abgegeben, also vom Klavier aus betrachtet nach vorne und hinten. Der nach hinten abgestrahlte Schall wird von der Zimmerwand reflektiert und zurück auf den Resonanzboden gelenkt, während der vordere Anteil vom Gehäuse, vom Spielapparat und letztlich auch vom Pianisten reflektiert und ebenfalls zum Pianino zurückgelenkt wird. Insgesamt ergibt sich daraus eine deutliche Reduktion hinsichtlich der Tragweite der Schallwellen, ein Pianino eignet sich von daher nur sehr eingeschränkt für einen über die Kammermusik hinausgehenden Konzertbetrieb.

Ebenfalls aus der veränderten Anordnung der Bauteile ergibt sich beim Pianino der Umstand, daß es keinen so direkten Zusammenhang zwischen Tastendruck und Anschlag des Hammers auf die Saite gibt wie beim Flügel, vielmehr wird die Abwärtsbewegung der Taste in eine Vorwärtsbewegung des Hammers umgesetzt. Dadurch hat der Pianist weniger Möglichkeiten zur dynamischen Klanggestaltung. Und obwohl das Pianino genauso wie der Flügel bis auf die Baßlage für jeden Ton zwei oder drei Saiten besitzt, hat der beim Flügel beliebte Einsatz des linken Pedals zur drastischen Veränderung der klanglichen Eigenschaften beim "una corda" Spiel beim Pianino nicht dieselbe Bedeutung, denn hier wird dadurch nicht der gesamte Spielapparat verschoben, sondern es werden nur die Ausgangslagen der Hämmer in Bezug auf die Saiten verlagert. Der Klang des Pianino wird durch den Einsatz des Pedals zwar etwas leiser, ändert aber seine Farbe nur wenig. Schließlich gibt es auch einen klaren Nachteil hinsichtlich der Repetierfähigkeit des Pianino: Durch das Wegfallen der Unterstützung der Schwerkraft beim Zurückschnellen der Hämmer in ihre Grundstellung kann ein und derselbe Ton nicht so oft und so rasch hintereinander angeschlagen werden wie beim Flügel.

Trotz all dieser Einschränkungen in Hinblick auf künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten und direkte Einflußnahme auf die Klangfarbe ist das Pianino wegen seiner Kompaktheit und seines relativ zum Flügel niedrigeren Anschaffungspreises ein wichtiger Faktor auf dem Gebiet der Pflege klassischer Musik: es findet sich in vielen Haushalten und bietet dem Pianisten die Möglichkeit, sein Können mit vergleichbar geringem Aufwand zu perfektionieren bzw. dem privaten Musikliebhaber die Chance, auch bei beschränkten räumlichen Möglichkeiten nicht auf das Klavierspielen verzichten zu müssen.


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